Grundlagenforschung ohne Tierversuche?

Verantwortung für Chancen und Grenzen alternativer Methoden übernehmen

18. Juni 2025

Auf den Punkt gebracht:

  • Alternative Methoden funktionieren nicht immer: Zellkulturen oder Bio-Chips können gegenwärtig noch nicht alle komplexen biologischen Vorgänge des Menschen abbilden, weshalb Tierversuche in einigen Bereichen der Grundlagenforschung notwendig bleiben.
  • Das 4R-Prinzip der Max-Planck-Gesellschaft: Forschende bei der Max-Planck-Gesellschaft handeln nach dem erweiterten 4R-Prinzip (Reduction, Refinement, Replacement, Responsibility), das Versuche an Tieren ethisch absichert und eine Notwendigkeit kritisch hinterfragt.
  • Grundlagenvorschung bleibt auf Versuche an Modellorganismen angewiesen: Modellorganismen wie Mäuse und Zebrafische leisten einen wichtigen Beitrag, insbesondere in der Neurowissenschaft und Verhaltensforschung, da sie genetisch und physiologisch dem Menschen ähnlich sind.

Tierversuche sind ein emotional besetztes Thema, und ihr Einsatz erscheint vielen Menschen nur schwer nachvollziehbar. Tatsächlich lassen sich in bestimmten Fällen bereits heute computergestützte Modelle oder zellbasierte Kulturen in der Grundlagenforschung einsetzen. Manche Fragestellungen, etwa zur Rolle des Schlafs für die Gedächtnisbildung, werden sogar direkt am Menschen untersucht.

Nicht immer jedoch sind Methoden am Menschen, Computer oder im Zell-Labor möglich, weshalb in besonderen Fällen auch mit Tieren gearbeitet wird. Versuche an Wirbeltieren wie Mäusen oder Zebrafischen müssen gerechtfertigt und ethisch vertretbar sein. Ihre Begründbarkeit in der Grundlagenforschung ist insofern immer eine Abwägung, welchen tatsächlichen Nutzen der Einsatz der Versuchstiere hat.

Forschung nach dem 4R-Prinzip

In der wissenschaftlichen Praxis ist die Antwort auf die Frage, ob Tierversuche überhaupt durchgeführt sollen, ein vom Gesetzgeber klar vorgegebener Prozess, der unter sehr hohen ethischen Gesichtspunkten geführt wird. Forschende orientieren sich hier am sogenannten 3R-Prinzip: Tierversuche sollen grundsätzlich verringert (Reduction), stets verbessert (Refinement) und, wann immer möglich, ersetzt (Replacement) werden. Ergänzt wird dieses Prinzip an den Max-Planck-Instituten durch ein weiteres „R“: Responsibility – die persönliche Verantwortung jeder Wissenschaftlerin und jedes Wissenschaftlers, den Einsatz von Tieren stets kritisch zu hinterfragen, ethisch zu begründen und immer auch persönlich zu verantworten.

„Wir verpflichten uns an den Max-Planck-Instituten, auch das Sozialleben der Tiere zu verbessern, Tools zur Ermittlung ihrer Empfindungsfähigkeit, des Bewusstseins und der Intelligenz weiterzuentwickeln und die öffentliche Diskussion zum Thema Tierethik aktiv zu führen“, erklärt PD Dr. Thomas Ott, der für den Bereich neurowissenschaftliche Modelle, tierexperimentelle Forschung und Biosicherheit am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik zuständig ist. „Die konsequente Umsetzung dieser Prinzipien in allen Bereichen tierexperimenteller Forschung ist letztendlich aber auch überhaupt erst die Voraussetzung, dass Tierversuche von den zuständigen Behörden genehmigt werden können“, erklärt der Biologe.

Es steckt mehr Maus in uns als wir meinen

Will man etwa den Ursachen neuronaler Diversität aber auch Behandlungsmöglichkeiten von zum Beispiel Alzheimer oder Parkinson auf den Grund gehen, dann muss man sich mit den elektrophysikalischen und biochemischen Prozessen des Gehirns und des zentralen Nervensystems befassen. Hier funktionieren die Dinge beim Menschen und Tier grundsätzlich gleich.

Insbesondere Mäuse werden in Tierversuchen häufig eingesetzt, da sich ihre Gene gezielt verändern oder ausschalten lassen – ideal, um die genetischen Grundlagen von Krankheiten zu erforschen. Ihre enge genetische Verwandtschaft mit dem Menschen (bis zu 95 Prozent Übereinstimmung) macht sie besonders wertvoll für die neuromedizinische Forschung, etwa bei Alzheimer. Transgene Mäuse ermöglichen dabei präzisere Experimente und haben maßgeblich zu Fortschritten in der Therapie von Erkrankungen beigetragen.

„Der genetische Bauplan einer Maus unterscheidet sich nur gering von unserem. Das ermöglicht es, genetische Ursachen aus der Balance geratener biochemischer Prozesse durch gezieltes Ausschalten von Erbinformationen an Mäusen zu untersuchen. Auf diese Weise lassen sich Rückschlüsse auf den Menschen ziehen,“ sagt Thomas Ott weiter.  „Alle heute bekannten Errungenschaften in der Medizin beruhen letztendlich auf Erkenntnissen der Grundlagenforschung. Wenn wir wissen, warum, wann und wo bestimmte krankmachende oder vererbte Störungen im Gehirn stattfinden, dann ist es auch möglich, gezielte Behandlungen hierfür zu entwickeln.“

Großes Kino für einen winzigen Fisch

Der Zebrafisch wird heute als Modellorganismus in vielen Bereichen der biologischen Forschung eingesetzt. Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard arbeitete mit ihnen am Max-Planck-Campus Tübingen bereits in den 1990er Jahren, um zum Beispiel die Zusammenhänge zwischen genetisch vererbten Farbmustern der Fische und deren Attraktivität bei der Paarbildung zu erschließen.

Am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik schwimmen sie buchstäblich vor der Linse eines aus eigener Entwicklung stammenden Lichtmikroskops, das mit Hilfe intelligenter Software das Verhalten der Larven verfolgt und sie so in verschiedenen Situationen beobachtet. Zebrafischlarven haben im Frühstadium ihrer Entwicklung noch einen transparenten Schädel, so dass mithilfe von fluoreszierendem Licht Verarbeitungsprozesse im Gehirn in Echtzeit dargestellt werden können. Die visuellen Daten werden computergestützt auswertbar gemacht.

Für diese Experimente können die noch winzigen Zebrafische das tun, was immer sie wollen. „Für Verhaltensforschung wie diese ist es besonders wichtig, dass sich die Tiere wohl fühlen und ihre Wahrnehmung der eines natürlichen Lebensumfelds entspricht. Jegliche Abweichung durch negative Einflussfaktoren würde die erhobenen Verhaltensdaten verzerren oder unbrauchbar machen,“ meint Ott.  

Untergebracht sind Zebrafische in kleinen Aquarien, in denen die Schwärme in nicht allzu großer Zahl zusammenleben. „Wären zu viele der Fische in einem unserer Aquarien, dann gäbe es schnell sozialen Stress. Auch Rivalität wäre dann nicht ausgeschlossen.“

Chancen und Grenzen alternativer Methoden

Die Organ-on-a-Chip-Technologie gilt als vielversprechende Alternative zu Tierversuchen. Dabei werden wenige Millimeter große, organähnliche Strukturen, sogenannte Organoide, aus Stammzellen gezüchtet. Obwohl ihnen Blutgefäße und Bindegewebe fehlen, zeigen sie typische Eigenschaften echter Organe. Auf einem Kunststoffchip entstehen so dreidimensionale Zell- und Gewebemodelle als Abbilder echter Gewebestrukturen.

Membranen und winzige Kanäle sorgen für Sauerstoffaustausch sowie den Zu- und Abtransport von Nährstoffen. Mehrere unterschiedliche Organoide lassen sich auch miteinander verbinden, um in einem künstlichen Kreislauf das Zusammenspiel von Organen außerhalb des Körpers nachzubilden.

„Bio-Chips liefern in der Medikamentenentwicklung bereits vielversprechende Ergebnisse, etwa indem die Wirkung eines Wirkstoffs direkt an Organoiden getestet wird. Dabei zeigt sich, ob eine Substanz das Zellgewebe beeinträchtigt – allerdings lässt sich umgekehrt nicht ausschließen, dass im Modell unauffällige Substanzen im Organismus eines Menschen dennoch Schaden anrichten“, argumentiert Ott.

Auch in anderen Bereichen stoßen Bio-Chips noch an Grenzen: Nur wenige Organmodelle lassen sich bislang kombinieren, und bestimmte Zelltypen wachsen nicht in Kultur. So können komplexe Vorgänge wie zum Beispiel Emotionen, das Herz-Kreislauf-System oder hormonelle Wechselwirkungen noch nicht abgebildet werden.

„Es wird dennoch weltweit intensiv daran geforscht, Bio-Chips weiterzuentwickeln. Es bestehen jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt klare Grenzen, was eine Übertragung von Erkenntnissen aus dem Bio-Chip-Modell auf den Menschen und andere Lebewesen zulässt. Auch Verhaltensstudien sind nicht möglich.“

Deshalb, so Ott, sei es wichtig, bei der Vermittlung alternativer Methoden transparent und ehrlich zu bleiben, um keine falschen Hoffnungen zu wecken. Es sei bisher einfach noch nicht möglich, auf Tierversuche in der Grundlagenforschung ganzheitlich zu verzichten. Selbst für die Überprüfung von Forschungsergebnissen aus Organ-on-a-Chip-Modellen werden Tierversuche noch weiterhin benötigt.

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