Sie können Ihre Gehirnwellen beeinflussen
Das Gehirn ist immer aktiv. Egal ob wir wachen oder schlafen, unsere Nervenzellen kommunizieren und synchronisieren sich miteinander. So entstehen Gehirnwellen: rhythmische Muster neuronaler Aktivität. Sie sind im Alltag wichtig für allerlei: Schätzen von Zeitdauern, Rhythmusgefühl, Lenkung der Aufmerksamkeit. Besonders faszinierend: Man kann Gehirnwellen sogar willentlich beeinflussen!
Die Rhythmen der Gehirnwellen und ihre Synchronisation steuern viele wichtige Prozesse im Gehirn. Ein Beispiel: die selektive Aufmerksamkeit. Sie macht es möglich, dass wir uns nur auf bestimmte Reize konzentrieren und irrelevante Informationen ausblenden – wichtig zum Beispiel beim Autofahren. So lösen etwa ein auf die Fahrbahn rollender Ball und eine Plakatwerbung am Straßenrand unterschiedliche Rhythmen im Gehirn aus. Das hilft dem Gehirn, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Ein sehr effizienter Mechanismus, um schnell auf den Ball reagieren zu können, ohne von der Plakatwerbung abgelenkt zu werden!
Mögliche Hilfe bei Angststörungen und Depressionen
Solche Themen erforschen Pascal Fries und seine Forschungsgruppe Neurodynamics. Die Rhythmen des Gehirns sind nicht nur wissenschaftlich faszinierend, sondern auch wichtig dafür, neurologische und psychiatrische Erkrankungen besser zu verstehen, zu diagnostizieren und zu therapieren. Das könnte etwa bei der Behandlung von Angststörungen und Depressionen helfen: Bei ängstlicheren Menschen weist die rechte Gehirnhälfte in bestimmten Bereichen weniger Alpha-Aktivität auf als die linke. Neurofeedback ist hier ein erfolgversprechender Ansatz: Mithilfe von Elektroenzephalographie (EEG) kann man die Gehirnwellen sichtbar machen. Die Patient*innen können ihre eigene Gehirnaktivität so in Echtzeit beobachten und lernen, auf sie Einfluss zu nehmen.
Übrigens: Auch ganz ohne EEG oder sonstige technische Ausrüstung können Sie Ihre Gehirnwellen beeinflussen! Zum Beispiel einfach, indem Sie die Augen schließen und sich entspannen. Wenn Sie regelmäßig und über längere Zeit meditieren, kann sich Ihre Gehirnwellen-Aktivität sogar dauerhaft verändern!
Assaf Breska, Leiter der Forschungsgruppe Dynamic Cognition, interessiert sich aus ganz anderen Gründen für Gehirnwellen: Er möchte verstehen, wie wir Zeit wahrnehmen. Bei fast jeder Tätigkeit im Alltag müssen einschätzen, wie schnell oder wann etwas geschieht: Wie schnell nähern wir uns beim Autofahren einem Stoppschild? Wann erreichen wir es? Um angemessen auf eine solche Situation reagieren zu können, müssen wir uns die unmittelbare Zukunft vorstellen und eine ausreichend präzise Vorhersage treffen. Besitzt unser Gehirn also eine Uhr, mit der es Zeit und Geschwindigkeiten misst?
Wie ticken die Uhren im Gehirn?
Breska ist überzeugt, dass sogar mehrere Uhren in uns ticken. Schließlich müssen wir auf sehr unterschiedliche Arten mit Zeit umgehen können: Wenn eine rote Ampel auf Orange springt, wissen wir aus Erfahrung, wie lange es dauert, bis sie grün wird. Wir nutzen unser Gedächtnis, um uns darauf vorzubereiten, im richtigen Moment wieder loszufahren. Anders verhält es sich, wenn wir spontan den Refrain eines uns unbekannten Liedes im Radio mitsingen: Das Gehirn sagt voraus, wann der nächste Ton kommt, indem es sich einfach auf die Regelmäßigkeit des Rhythmus verlässt. Den Takt geben Gehirnwellen an: Wie ein Kind auf einer Schaukel muss man sie nur in Bewegung versetzen, damit sie mit großer Regelmäßigkeit weiterschwingen.
Doch es ist nicht einfach, die Taktgeber im Gehirn zu untersuchen, denn sie haben mit einer Struktur zu tun, die tief im Gehirn sitzt: dem Kleinhirn. Dessen Aktivität von außen mit EEG oder anderen Methoden zu messen, ist mehr als herausfordernd. Deshalb arbeitet die Dynamic Cognition Group mit Betroffenen zusammen, deren Kleinhirn geschädigt ist. Das kann etwa nach einem Schlaganfall oder als Folge bestimmter neurodegenerativer Erkrankungen der Fall sein. Die Forschenden untersuchen, welche Aufgaben diese Patient*innen noch gut bewältigen können und wo sie Schwierigkeiten mit dem Zeitgefühl haben. Dies gibt Aufschluss darüber, wie die Zeitwahrnehmung bei gesunden Menschen funktioniert.
Man darf hoffen, dass diese Studien eines Tages dazu beitragen werden, maßgeschneiderte Maßnahmen für Menschen mit Kleinhirnschädigungen zu entwickeln: Ein besseres Verständnis ihrer Fähigkeiten und Einschränkungen könnte dabei helfen, ihr Umfeld geeignet auf sie anzupassen. Langfristig könnten Forschungsarbeiten wie die der Dynamic Cognition Group sogar zur Entwicklung neuer Medikamente oder gezielter kognitiver Trainings führen. Dies könnte die Lebensqualität einiger Patient*innen heben und sie dabei unterstützen, selbstbestimmt und unabhängig zu leben.